Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) hat am Dienstag gewarnt, dass sich das Ausmaß und die Schwere von Hunger und Unterernährung in Afghanistan verschlimmern. Neue Zahlen zur Ernährungssicherheit aus dem aktuellen Bericht der Integrated Food Security Phase Classification (IPC) zeigen, dass in diesem Winter über 17 Millionen Afghanen von akutem Hunger betroffen sind – drei Millionen mehr als im vergangenen Jahr.
Auch die Unterernährung von Kindern wird voraussichtlich zunehmen und im kommenden Jahr fast vier Millionen Kinder betreffen, von denen etwa 26 Prozent an schwerer akuter Unterernährung (SAM) leiden werden. Die Unterernährung von Kindern hat bereits den höchsten Stand seit Jahrzehnten erreicht.
Durch die beispiellosen Kürzungen der Mittel für Hilfsorganisationen, die lebenswichtige Dienste leisten, wird der Zugang zu Behandlungen immer schwieriger, und Kinder sterben an SAM.
Ohne Behandlung ist Unterernährung bei Kindern lebensbedrohlich, und die Zahl der Todesfälle bei Kindern dürfte in den harten Wintermonaten, in denen Lebensmittel am knappsten sind, weiter steigen. Darüber hinaus leiden voraussichtlich 1,2 Millionen schwangere oder stillende Frauen an akuter Unterernährung.
Das WFP warnt, dass alle wichtigen Indikatoren auf einen brutalen Winter für die am stärksten gefährdeten Familien Afghanistans hindeuten.
„Das WFP warnt seit Monaten vor den deutlichen Anzeichen einer sich verschärfenden humanitären Krise in Afghanistan, und die neuesten Daten bestätigen unsere schlimmsten Befürchtungen“, sagte John Aylieff, WFP-Länderdirektor in Afghanistan, in einer Erklärung.
„Unsere Teams beobachten, dass Familien tagelang keine Mahlzeiten zu sich nehmen und extreme Maßnahmen ergreifen, um zu überleben. Die Zahl der Todesfälle bei Kindern steigt und könnte sich in den kommenden Monaten noch weiter verschlimmern.“
Afghanistan bereitet sich auf einen harten Winter vor, während das Land weiterhin von mehreren Krisen heimgesucht wird. Die Dürre hat die Hälfte des Landes getroffen und die Ernten zerstört. Der Verlust von Arbeitsplätzen und eine geschwächte Wirtschaft haben die Einkommen und Lebensgrundlagen der Menschen untergraben. Die jüngsten Erdbeben haben Familien obdachlos gemacht und die humanitären Notsituationen auf ein neues Extrem getrieben.
Laut der IPC-Analyse erhalten nur 2,7 Prozent der Bevölkerung in Afghanistan Nahrungsmittelhilfe, während schätzungsweise 17,4 Millionen Menschen – mehr als ein Drittel der Bevölkerung – zwischen November 2025 und März 2026 mit einer Hungerkrise (IPC-Phase 3) oder Schlimmerem konfrontiert sein werden, darunter 4,7 Millionen Menschen mit einer Hungernotlage (IPC-Phase 4).
Die Zwangsrückführungen aus Pakistan und dem Iran verschärfen die Situation zusätzlich: Seit Jahresbeginn wurden 2,5 Millionen Afghanen nach Afghanistan zurückgeschickt. Viele von ihnen sind unterernährt und mittellos. Für 2026 wird mit fast ebenso vielen Menschen gerechnet, die gezwungen werden, nach Afghanistan zurückzukehren.
Durch drastische Kürzungen der Finanzmittel ist die Unterstützung, die das WFP der Bevölkerung leisten kann, weiter eingeschränkt worden.
Während sich die humanitäre Krise verschärft, schrumpft die humanitäre Hilfe für Afghanistan insgesamt, sodass Millionen Menschen ohne die Unterstützung auskommen müssen, die bislang schwere Hungersnöte und Unterernährung verhindert hat.
„Wir müssen die Krise in Afghanistan wieder in den Fokus der Öffentlichkeit rücken, damit die am stärksten gefährdeten Afghanen die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdienen“, fügte Aylieff hinzu.
„Wir müssen den Menschen in Afghanistan, die auf lebenswichtige Hilfe angewiesen sind, zur Seite stehen und bewährte Lösungen für einen Wiederaufbau mit Hoffnung, Würde und Wohlstand einsetzen.“
Zum ersten Mal seit Jahrzehnten ist das WFP nicht in der Lage, eine nennenswerte Winterhilfe zu starten oder die Not- und Ernährungshilfe landesweit auszuweiten.
Am Dienstag erklärte Jean-Martin Bauer, Direktor für Ernährungssicherheit und Ernährungsanalyse beim WFP, gegenüber Journalisten in Genf, dass die UN-Organisation über das Personal, die Lastwagen, die Verträge und den Zugang verfüge, die für die Hilfe für die Bevölkerung erforderlich seien.
Allerdings müssten die Finanzmittel sofort aufgestockt werden, um die schlimmsten Auswirkungen auf das Land abzuwenden.
Das WFP benötigt dringend 468 Millionen US-Dollar, um sechs Millionen der am stärksten gefährdeten Menschen in Afghanistan lebensrettende Nahrungsmittelhilfe zu leisten und ihnen zu helfen, den harten Winter zu überstehen.
Mit sofortigen Finanzmitteln ist die Organisation bereit, umfangreiche Winterhilfemaßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass Familien den Hunger bekämpfen können und nicht noch tiefer in die Krise geraten.
Auf Fragen von Reportern antwortete Bauer, dass die Finanzierung für die Aktivitäten des WFP in Afghanistan derzeit bei 12 Prozent des Zielbetrags liege und dass die UN-Organisation derzeit weniger als eine Million Menschen pro Monat in Afghanistan unterstütze. Diese Zahl müsse auf sechs Millionen erhöht werden.
Er fügte hinzu, dass das WFP mit Gebern im Gespräch sei und das Bewusstsein für die Bedeutung der Unterstützung gefährdeter Länder schärfe. Darüber hinaus priorisiere die Organisation die Verwendung der Mittel und konzentriere sich auf die am stärksten gefährdeten Gebiete.
Allerdings ist die Organisation außerstande angesichts knappster Mittel, allen extrem gefährdeten Menschen in Afghanistan zu helfen.
Der Humanitäre Bedarfs- und Reaktionsplan (HNRP) für Afghanistan der Vereinten Nationen für 2025 sah vor, in diesem Jahr 16,8 Millionen Menschen mit einem Aufwand von rund 2,4 Milliarden US-Dollar zu unterstützen. Zwei Wochen vor Jahresende sind jedoch erst 38 Prozent der Mittel für den HNRP gesichert, da bisher nur 909 Millionen US-Dollar eingegangen sind.
Angesichts der Rückkehr von Millionen Afghanen aus den Nachbarländern und der weltweiten humanitären Finanzierungskrise, die das Land schwer belastet, droht eine noch gravierendere humanitäre Krise in Afghanistan.
Millionen Afghanen kämpfen weiterhin ums Überleben inmitten einer der größten und am meisten vernachlässigten humanitären Notlagen weltweit. Fast die Hälfte der afghanischen Bevölkerung – 22 Millionen Menschen – wird im Jahr 2026 auf humanitäre Hilfe angewiesen sein.
Laut dem letzte Woche veröffentlichten Globalen Humanitären Überblick 2026 hat die Krise in Afghanistan ihre Wurzeln in jahrzehntelangen Konflikten, wiederkehrenden Naturkatastrophen, chronischer Armut, Unterentwicklung, begrenztem Zugang zu grundlegenden Versorgungsleistungen und systematischen Menschenrechtsverletzungen, insbesondere gegen Frauen und Mädchen.
Im August 2025 wurde die östliche Region von einem schweren Erdbeben heimgesucht, das Tausende Menschenleben forderte und ganze Dörfer in abgelegenen, verarmten Gebieten zerstörte. Es war eines der tödlichsten Erdbeben in der jüngeren Geschichte Afghanistans, und es ist zu erwarten, dass der humanitäre Bedarf bis weit ins nächste Jahr hinein bestehen bleibt, da Tausende Menschen weiterhin in Lagern und informellen Siedlungen leben.
Afghanistan wurde in den letzten vier Jahren von vier schweren Erdbeben heimgesucht, die jeweils verschiedene Regionen des Landes verwüsteten.
Weitere Informationen
Vollständiger Text: Afghanistan: Kurzbericht zur akuten Ernährungsunsicherheit für September – Oktober 2025 und Prognose für November 2025 – März 2026 und April – September 2026, Integrierte Klassifizierung der Ernährungssicherheit (IPC), Bericht, veröffentlicht am 16. Dezember 2025 (in Englisch)
https://www.ipcinfo.org/fileadmin/user_upload/ipcinfo/docs/IPC_Afghanistan_Acute_Food_Insecurity_Malnutrition_Jun2025_Sep2026_Snapshot.pdf